Herzlichen Dank an:
Die Chaja-Stiftung, die diese Evaluation finanziert und ermöglicht hat. www.chaja-stiftung.de
Allen Studienteilnehmern und Ihren Familien, die sich die Zeit genommen haben, nach dem SSP Programm 3 Mal die Fragebögen auszufüllen.
Autismus Hamburg e.V. hat vor Beginn der Evaluation die Information über diese Möglichkeit in ihrem Verteiler veröffentlich, und somit haben die Hälfte der Teilnehmer zur Evaluation gefunden. www.autismushamburg.de
Die Comenius-Schule in Berlin, die mit den interessierten Familien aus ihren Autismusklassen an dieser Evaluation teilgenommen hat und für die Arbeit mit den Schülern ihre Räume zur Verfügung gestellt hat. www.schule-comenius.de
Die Ergebnisse wurden in einer ersten groben Auswertung in Augsburg 2019 vorgestellt. Hier finden Sie das Handout und das Poster, das für die Tagung erstellt wurde. Im Anschluss die aktuelle vertiefte Auswertung, die erst in Nizza vorgestellt werden konnte.
Hintergrund: Prof. Dr. Stephen Porges hat in seiner sog. Polyvagaltheorie beschrieben, wie Stressreaktionen des autonomen Nervensystems (bei
Säugetieren und Menschen) das soziale Verhalten beeinflussen. Die Linderung der Hypersensitivität von autistischen Menschen erfolgt bislang noch wenig über therapeutische Ansätze, die direkt auf
eine Stabilisierung und Entlastung der Reizverarbeitung und Wahrnehmungsregulation von Betroffenen abzielen. Hier bietet das von Stephen Porges entwickelte Safe and Sound Protocol durch eine
frequenzmodulierte über Kopfhörer zu hörende Musik Möglichkeiten der Intervention. Zu dem Vorläufer des SSP liegen bereits 2 Studien im Bereich Autismus-Spektrum vor. Die vorliegende Studie ist
die erste autismusspezifische deutschsprachige Studie.
Methode: Durch die Bearbeitung gebrauchsüblicher Popularmusik sind die Frequenzbänder der menschlichen Prosodie (Sprachmelodie) besonders
betont und nicht in diesen Bereich gehörende Frequenzen im Bass- und Höhenbereich herausgefiltert. Die Musik wird über hochwertige Kopfhörer gehört und wirkt über die Cranialnerven V und VII
auf den Musculus Stapedius des Mittelohrs. Das Hören der Musik erfolgt an 5 aufeinanderfolgenden Tagen (jeweils 60 Minuten) und wird von für das Safe and Sound Protocol geschulten Therapeuten
begleitet (leicht motivierende und antwortende Interaktionen). In unserer Studie (mit 37 Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen im Autismus-Spektrum) wurden über Auswertungsbögen (BBC Sensory
Scales mit 50 Fragen über 4 sensorische Bereiche) ein Verlaufsprotokoll (siehe Poster Rückseite) sensorischer Empfindlichkeit erstellt und mit ANOVA ausgewertet. In allen ausgewerteten
sensorischen Fragestellungen konnten Veränderungen festgestellt werden (in drei Bereichen statistisch signifikant) – zum Teil mit deutlicher Empfindlichkeitsminderung. Es kam ebenso zu einer
größeren Beweglichkeit von Reaktionsmustern, die nicht mehr nur als “fixe“ Reizantworten auftraten.
Schlussfolgerungen: Das SSP scheint uns ein wirksamer und niedrigschwelliger therapeutischer Ansatz zu sein, um über eine an der
“Neurozeption“ orientierten (musikalisch und interaktiv durchgeführten) Stabilisierung des (auditiven und in der Folge über die Vagusnerven auch visuell, taktil, respirativ und digestiv sich
auswirkenden) Wahrnehmungssystems mit autistischen Menschen im Sinne einer ›Co-Regulation‹ des Nervensystems zu arbeiten.
Ausblick / Grenzen: Der Ansatz, über eine (musikalisch angeregte) Beruhigung des Wahrnehmungssystems in eine im Therapie-Setting gemeinsam
erreichte (emotional gleichermaßen beruhigende wie aktivierende) Co-Regulation kommunikativer Interaktion zu kommen, ist, trotz aller Einfachheit der therapeutischen Methode “Musikhören“ durchaus
vielschichtig und benötigt bei den beteiligten Therapeuten ein hohes Maß an therapeutischem Geschick. Es dreht sich um die Fähigkeit, im Dabeisein den Kontakt non-verbal, gestisch und mimisch
aufrecht zu erhalten und den inneren Zustand des Klienten entspannt (“co-regulativ“) aufzunehmen und zu spiegeln. “Feinschwingungen“
der interaktiven Kommunikation dürften hier eine große Rolle spielen. Die BBC Sensory Scales liefern keine Aussagen über Verhaltensänderungen. Um das zu dokumentieren haben wir nach der 1.
Therapiewoche einen zusätzlichen Fragebogen eingeführt. Für weitere Studien halten wir diesen Aspekt für eine wichtige Fragestellung. Die Rückmeldungen von Eltern und teilnehmenden
Erwachsenen diesbezüglich waren zum Teil sehr positiv, so dass sich sagen lässt, dass Entlastung auf der sensorischen Ebene Verbesserungen im kommunikativen Verhalten ermöglicht. Das soziale
Umfeld der Studienteilnehmer wurde nicht über die Hintergründe und Wirksamkeit des SSP aufgeklärt. Bei manchen Teilnehmern gab es deutlich positive Verhaltensänderungen, die nach dem SSP wieder
zurückgingen. Hier sehen wir einen wichtigen Zusammenhang, der weiter untersucht werden sollte.
Die Daten der BBC Sensory Scales Fragebögen wurde in einer zweiten wesentlich differenzierteren Auswertungsphase von Dr. Jacek Kolacz, Mitglied des wissenschaftlichen Teams von Prof. Dr. Porges in den USA ausgewertet. Diese Auswertung wurde mit linearen Effektmodellen analysiert und die 4 sensorischen Bereiche noch einmal nach Untergruppen ausgewertet. Die Teilnehmer der Studie zeigten signifikante Verbesserungen in den Bereichen auditive Hyper- und Hyposensibilitäten, visuelle Hypersensibilitäten, taktile Sensibilitäten, soziale Berührungsabneigung (nur in Woche 1 nach dem Eingriff) und Verdauungsprobleme. Vier Wochen nach der Intervention nahmen die Werte im Bereich selektive Ernährung leicht ab.
Für die internationale Autismus-Konferenz "Autism-Europe" wurden die Ergebnisse anschließend von Prof. Porges und seinem Team ausgewertet. Das Handout und die Posterpräsentation für die Konferenz finden Sie hier:
Background: Prof. Dr. Stephen Porges has described in his polyvagal theory how stress reactions of the autonomic nervous system (in mammals
and humans) influence social behaviour. So far, the relief of hypersensitivity in autistic people has not been achieved by therapeutic approaches that directly aim at stabilizing and relieving
the processing of stimuli and the regulation of perception of affected persons. Here, the ‘Safe and Sound Protocol’ developed by Stephen Porges offers possibilities for intervention through
frequency-modulated music to be heard via headphones. There are already 2 studies on the predecessor of the SSP in the field of autism spectrum. The present study is the first study to assess SSP
effects on visual, tactile, digestive, and selective eating domains as well as the first autism specific German study.
Methods: Using specifically processed common popular music, the frequency bands of the human prosody (speech melody) are particularly
emphasized and frequencies not belonging to this range in the bass and treble range are filtered out. The music is heard via high-quality headphones and acts via the cranial nerves V and VII on
the musculus Stapedius of the middle ear. The hearing of the music takes place on 5 consecutive days (60 minutes each) and is accompanied by therapists trained for the Safe and Sound Protocol
(providing gently motivating and responding interactions). In our study (with 37 children, adolescents and adults on the autism spectrum), a progress protocol of sensory sensitivity was created
using evaluation sheets (BBC Sensory Scales with 50 questions) and analyzed using linear mixed effects models. Participants in the study showed improved auditory hyper- and hyposensitivities,
visual hypersensitivities, tactile sensitivities, social touch aversion (at week 1 post only), and digestive problems. Therapists also observed a greater mobility of reaction patterns following
the SSP, which no longer occurred only as "fixed" stimulus responses. Four weeks after the intervention there was a decrease in selective eating.
Conclusions: The SSP seems to us to be an effective and low-threshold therapeutic approach to work with autistic people in the sense of a 'co-regulation' of the nervous system via a stabilisation of the perception system (auditory and subsequently via the vagus nerve also visually, tactile, respiratory and digestive) working via "neuroception" (carried out musically and interactively).
Outlook / Limits: The approach to achieve (emotionally calming as well as activating) co-regulation of communicative interaction through (musically stimulated) calming of the perceptual system, which is jointly achieved in the therapy setting, is, despite all the simplicity of the therapeutic method "listening to music", quite complex and requires a high degree of therapeutic skill on the part of the therapists involved. It revolves around the ability to maintain non-verbal contact via gesture and mimicry in the presence of the therapist and to absorb and reflect the inner state of the client in a relaxed ("co-regulatory") way. The "fine vibrations" of interactive communication are likely to play a major role here. The BBC Sensory Scales do not provide any information about behavioural changes. To document those we have introduced an additional questionnaire after the 1st week of therapy. For further studies we consider this aspect an important question. The feedback from parents and participating adults in this regard was in part very positive, so that it can be said that relief at the sensory level enables improvements in communicative behaviour. The social environment of the study participants did not receive detailed explanation about the background and effectiveness of the SSP. In some participants there were clearly positive behavioural changes, which decreased again after completion of the SSP. Here we see an important connection that should be investigated further.