Dialog über Sprache (1)

M: Heute morgen habe ich mich gefragt, warum Menschen überhaupt Sprache erfunden haben. Warum sind sie nicht 'Tiere' geblieben und haben wie diese kommuniziert? Einfach weil ihnen die Evolution "zufällig" bessere Lautwerkzeuge, also eine komplexere Artikulationsmuskulatur, geschenkt hat? Warum entstand das Bedürfnis, 'Dinge' durch Laute zu benennen? Bienen zum Beispiel kommunzieren über Tänze und teilen sich so mit, wo gute Blütengebiete zu orten sind. Aber schon hier sind wir an einem entscheidenden Punkt: Kommunikation scheint der Orientierung im Raum zu dienen. Welches Mittel (Laute oder Tänze oder Geruchsinformationen oder visuelle Reize) dabei verwendet wird, ist wahrscheinlich (erstmal) nicht so entscheidend. Allerdings gibt es wohl bei der Zuordnung von Information zu bestimmten Lauten die Möglichkeit der Vieldeutigkeit. Ich kann die Nachricht von einer Wasserstelle (ich denke jetzt gerade an unsere nomadisierenden Vorfahren) mit einem bestimmten Laut verbinden und diese Zuordnung sollte eindeutig sein, da sonst unnötige Energie und Gefahr entsteht. Gleichzeitig scheinen Menschen irgendwann entdeckt zu haben, dass die Willkürlichkeit der Zuordnung von Laut zum Ding auch andere Möglichkeiten der Kommunikation entstehen lassen, z.B. kann einer den anderen mit einer Information bewusst in die Irre führen, um sich selbst einen Vorteil zu verschaffen. 

 

S: Ich find es wichtig (und spannend) erst einmal festzuhalten, dass Kommunikation nicht gleich Sprache ist, sondern Sprache eine spezielle Form der Kommunikation ist und damit eine unter anderen Kommunikationsformen. Allein an diesem Punkt ist es vielleicht schon ein gravierender Perspektivwechsel, wenn man sich (immer wieder) klar macht, dass 'Nicht-Sprechen' eben nicht 'Nicht-Kommunizieren' ist. Und die Frage ist, mit welcher Art der Kommunikation kommuniziert es sich vielleicht leichter als mit Sprache? 

 

Hierzu lese ich in der Davis-Arbeit und auch in dem Buch von Iris Johansson interessante Informationen, die deutlich machen, dass VOR der sprachlichen Kommunikation die Kommunikation auf einer ganz anderen Ebene erfolgt. Und es genau diese Ebene zu sein scheint, die es einer autistischen Person erlaubt, erfolgreich in die Gesellschaft einer anderen Person einzutreten und als weiteren Schritt dann auch Kommunikation auf der Ebene von Gesten oder Sprache aufzunehmen.

 

M: Ein spannender Punkt: Sprache hat als Kommunikationsmittel nicht nur mit präziser Informationsübertragung zu tun, sondern auch mit der Möglichkeit von Verwirrung und Unverständnis. Diese multible Möglichkeit erschwert für Autisten, die sich unter zu viel Andrang von Information in ihre eigenen Welt zurückziehen, das Verständnis. Deswegen sind ihnen non-verbale, gestische, körpersprachliche oder ganz andere Formen des Kommunizierens womöglich besser zugänglich. 

 

S: Sprache kommuniziert über Inhalte. Inhalte werden in Form von multisensorischen Inhalten (lt Davis) im bildhaften Denken erfasst und verarbeitet. Dieses multisensorische Bild ist sprachunabhängig und daher auch nicht an Sprache gebunden. Das heißt, dass z.B. auch allein ein Gefühl, dass ich empfinde, ebenfalls ein Inhalt ist, der sich kommuniziert, ohne dass Worte hierfür notwendig sind.

Diese Davis-Perspektive findet sich in vielen Passagen in dem Buch von I. Johansson wieder, zum Beispiel, wenn sei beschreibt, wie ihr Vater ihr allein mittels gedachter Bilder ohne Worte mitteilt, sich anzuziehen. Ein Procedere, dass ihr ansonsten Panik verursachte und ein Ding der Unmöglichkeit für sie war. Mit Hilfe der bildhaften vollständig druckfreien Kommunikation des Vaters ohne jegliche Worte, finden die einzelnen Kleidungsstücke einen Weg in ihr Bewusstsein und von dort dann auch an ihren Körper.

 

M: Sprache im mehrdimensionalem Raum der Kommunikation scheint für Autisten auch deswegen ein schwieriger Vorgang zu sein, weil der Raum ihrer eigenen Wahrnehmung mit ganz vielen Signalen und potentiellen Bedeutungsträgern gefüllt ist, die ihnen zur inneren Orientierung dienen. Die aber nicht unbedingt mit der jeweiligen realen kommunikativen Situation, die entsteht, wenn ein anderer Mensch in diesen Wahrnehmungsraum eintritt, etwas zu tun haben. Was hat der einfallende Lichtstrahl durchs Fenster damit zu tun, dass mich gerade jemand fragt, ob ich etwas essen will? Erstmal rein gar nichts. Diese gestellte Frage setzt voraus, dass sich die multisensorische Orientierung des Bewusstseins millisekundenschnell zu präzisen und in der momentanen Situation neu entstehenden Orientierunspunkten bewegen muss, um adäquat antworten zu können. Und schon der zentrale Punkt, nämlich: "Habe ich gerade Hunger?" als einfacher und natürlicher Punkt der Innenfrage an mich selbst, setzt, um im Außen antworten zu können, voraus, dass ich mich zu diesem inneren 'Bedürfnispunkt' hinbewegen können muss, ihn als solchen kennengelernt haben muss. Und zwar als solchen, der mich befähigt, ihn als 'kommunikativen Bedürfnispunkt' zu erleben, der eine entscheidende Relevanz in meiner eigenen Orientierung hin zu kommunikativen Situationen mit anderen Menschen inne hat. Wohl kennt ein autistischer Mensch das "Innengefühl" von "ich habe Hunger". Aber er hat nicht gelernt, dass es gut sein kann, diesen Zustand außer mit sich selbst auch mit einem anderen Menschen über bestimmte gesprochene Lautäußerungen zu kommunizieren. Er würde vermutlich eher selbst auf die Suche nach etwas Essbarem gehen, als sich darin an eine andere Person zu wenden. Oder er würde davon ausgehen, dass andere Personen diesen Zustand des Hungers auch anders kommunizieren können müssen, außer über völlig willkürliche Lautsysteme. 

 

S: “Kommunikation dient der Orientierung im Raum” sagst du. Das ist wieder eine interessante Aussage, über die ich erst einmal noch etwas mehr nachdenken muss. Mir wäre dieser Gedanke so gar nicht gekommen, aber ja! Ich kann ihn nachvollziehen. Dass es nicht ausreicht ein Objekt zu sehen und zu bezeichnen. Dies allein gibt noch keinen Kommunikationsimpuls. Sondern mein oder jemandes Verhältnis zu diesem Objekt löst einen Kommunikationsimpuls schon viel eher aus.

Da wird es mir dann deutlich, dass hier 2 Welten im Alltag aufeinanderstoßen können. Wenn man sich als Autist in einem natürlichen Desorientierungszustand befindet, heißt, ich bin überall und nirgends, mit Objekten oder anderen Sinneseindrücken meiner Wahl verbunden und beschäftigt, dann existiere ich in einem anderen Raum-Zeit-Gefüge, als ich dies tue, wenn ich in einem kommunikativen Zustand bin, den ich (nach Davis) "orientierten Zustand" nenne. Für diesen Prozess begebe ich mich an einen einzigen Ort, der mit der Position meines Körpers übereinstimmt und stehe damit in einem anderen Verhältnis zu den Dingen, die mich umgeben. Allein diese 2 unterschiedlichen Ausgangspunkte können in sich schon für ein Verwirrungs- und auch Schreckpotential sorgen, wenn eine autistische Person angesprochen wird – ohne bereits in einem sogenannten orientierten Zustand zu sein.

 

M: Die Frage wäre also dann, ob es auf der therapeutischen Ebene nicht sehr sinnvoll sein kann, die non-verbalen Formen der Kommunikation, wie zum Beispiel Körpersprache, Blicke, Gesten, bewusst einzusetzen und zu trainieren. Denn diese Formen sind allemal schneller da, als die Transformationen in Sprache. 

Auch haben Autisten ja ein sehr eigenes Körpergefühl, oft ungelenke und tapsige Bewegungen, die aus dem Zustand der Desorientierung folgen. Mit diesen in eine kreative Ebene des Ausdrucks zu kommen, in ein Körpergefühl zu gelangen, was erst mal zu mehr Grundentspannung führt, wäre meines Erachtens ein erster Schritt, bevor Sprache überhaupt ein produktives Medium des Austausches werden kann. 

 

S: Sprache allein im Sinne von Sprechen mit Lauten macht eben noch keine gelungene Kommunikation aus. Der nonverbale Anteil von Kommunikation ist ein ebenfalls weites und komplexes Feld, so dass ich gerne in einem weiteren Dialog speziell diesen Aspekt noch weiter beleuchten würde. 

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